E-Sport: Strukturen, Verbände, Politik und Anerkennung als Sport

Das wettbewerbsorientierte Spielen von Videogames, der sogenannte E-Sport, weist ein stark exponentielles Wachstum auf. In Südkorea finden sich TV-Sender und Agenturen zum E-Sport. Im chinesischen Hangzhou entsteht eine ganze E-Sport Stadt. In den USA, Schweden oder Norwegen kann man E-Sport vielerorts studieren oder als Unterrichtsfach in der Schule wahrnehmen. Offizielle Sportart ist E-Sport inzwischen in über 30 Nationen. 2022 wird der elektronische Sport offizieller Teil der Asienspiele sein. Während andere Länder mit großen Schritten voranschreiten, tut man sich in Deutschland an vielen Stellen sehr schwer. Warum ist dem so?

Der Status Quo

Während viele Länder über Sportministerien verfügen, entscheidet in Deutschland einzig der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) darüber, was Sport ist und was nicht. Eine Anerkennung als Sport findet also nur statt, wenn der DOSB den Dachverband der entsprechenden Sportart in seine Strukturen aufnimmt. Dies ist beim E-Sport bisher nicht erfolgt.

Argumente des DOSB gegen den E-Sport haben sich im Laufe der Zeit verändert. Erst wurden Vorurteile ins Feld geführt: E-Sportler seien dick, sozial inkompetent und gewaltbereit. Dass diese Vorurteile unzutreffend sind, habe ich bereits in einem Artikel für t3n.de verdeutlicht. Ferner sieht der DOSB den E-Sport aus rechtlichen und sportwissenschaftlichen Aspekten nicht als Sport. Auch diese Sicht ist vielfach kritisiert und widerlegt worden. Unter anderem in einem umfangreichen Statement der design akademie Berlin.

Das dritte Argument, das der DOSB gegen den E-Sport ins Feld führt sind vermeintlich fehlende Strukturen, insbesondere eine ausgeprägte Vereinslandschaft. Wie aber sehen die Strukturen des deutschen E-Sports aus?

Marktteilnehmer und andere Organisationen im deutschen E-Sport

In früheren Zeiten und teilweise auch noch heute nannte man im E-Sport Vereine „Clans“. Clans waren lose organisierte Vereine, die häufig keinen rechtlichen Status hatten. Die ersten herausragenden deutschen Clans sind bereits sehr früh gegründet worden. Vor allem OCRANA (1996) und Schröt Kommando (1997, heute SK Gaming) waren für die strukturelle Entwicklung des deutschen E-Sports essentiell. Solche Organisationen schufen erstmals umfassende Möglichkeiten. Professionelle Webseiten, Serverinfrastruktur, feste Teams innerhalb der Clans und Kommunikationskanäle entstanden. Über die Zeit folgten immer mehr neue Clans. Auch mit einem rechtlichen Status, Gesellschaftsformen und allem, was zu einer professionellen Organisation dazugehört.

Gerade durch die Gründung der Electronic Sports League (ESL) im Jahre 2000 ist in Deutschland ein Fundament des gegenwärtigen E-Sports entstanden. Die ESL fungiert als Veranstalter von Wettbewerben auf der ganzen Welt. In Deutschland sind durch die ESL bereits sehr frühzeitig nachhaltige Wettbewerbsstrukturen entstanden. Spieler und Clans konnten sich Profile auf der ESL-Webseite erstellen. Ligen und Turniere wurden veranstaltet. Erste Preisgelder wurden ausgeschüttet und große Profi- sowie Amateurwettbewerbe ausgetragen. Gleichzeitig war die ESL die wichtigste Instanz im deutschen E-Sport und ist es in weiten Teilen bis heute. Sie wird als glaubhafte und wichtige Autorität wahrgenommen, weil sie sowohl historisch als auch gegenwärtig von immenser Bedeutung für die deutsche E-Sport Landschaft ist.

Strukturen, deren Fehlen der DOSB bemängelt, existieren also schon sehr lange in Deutschland. Dabei gehören Clans wie SK Gaming, mousesports und PENTA sogar zur internationalen Spitze.

Zusätzlich zu diesem vereins- und verbandsähnlichen Aufbau, kommt spätestens seit Mitte der 2010er-Jahre die Gründung von Breitensport-Vereinen im E-Sport. Diese sorgen dafür, dass die Strukturen im Amateurbereich zusätzlich gefestigt werden. Darüber hinaus leisten diese Vereine ehrenamtliche Arbeit. Sie veranstalten Events für Schulen, Hochschulen und Eltern. Ebenso stehen Suchtprävention und die Vermittlung von Medienkompetenzen auf der Agenda. Darüber hinaus bieten Breitensport-Vereine ihren Mitgliedern ganzheitliche Trainings, inklusiven Ausgleichssport, Teambesprechungen und Analysen. Ferner wird die politische Debatte zum E-Sport befeuert. Was macht diese Debatte aus?

E-Sport und Politik

Nicht erst seit der Aufnahme des E-Sports in den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD findet sich ein politischer Diskurs zum Thema. Unterschiedliche Parteien und Politiker haben den E-Sport mehrfach auf die Tagesordnung gesetzt. Sowohl bundes-, als auch landes- und kommunalpolitisch. Für die Anerkennung als Sport ist dies aber zwiespältig zu bewerten.

Einerseits ist es gut, dass Parteien die Anerkennung des E-Sports als Sport mit olympischer Perspektive fordern. E-Sport ist sport- und spielwissenschaftlich als Sport zu werten, nicht zuletzt Studien der renommierten Sporthochschule Köln verdeutlichen dies. Darüber hinaus wäre an einer Anerkennung auch die Förderung des E-Sports gekoppelt. Breitensport-Vereine könnten ihre Arbeit intensivieren. Vereinsheime würden als Sozialisierungspunkte für ihre Mitglieder noch mehr in den Fokus der Vereinsarbeit rücken, weil diese für viele Vereine besser finanzierbar wären. Neue Berufsfelder, Studiengänge, Akademien und weitere Einrichtungen sowie Synergieeffekte zu anderen Branchen würden entstehen. Man denke etwa an den Tourismus, wenn mehr Veranstaltungen ins Land geholt werden würden oder an den Hochschulstandort Deutschland.

Andererseits verpufft diese politische Forderung angesichts der Strukturen in Deutschland. Wie eingangs erwähnt hat die deutsche Politik keine Hoheit über die Entscheidung, was Sport ist und was nicht. Dies obliegt allein dem DOSB. Wichtig wäre also ein starker Verhandlungspartner, der sich für den E-Sport einsetzt. Haben wir diesen in Deutschland?

Der eSport-Bund Deutschland (ESBD)

Im Jahre 2017 gegründet sieht sich der ESBD als Dachverband des deutschen E-Sports. In ihm sind gut dreißig Clans, Vereine, Veranstalter und andere Unternehmen organisiert. Der Verband weiß um die einmalige sportpolitische Stellung des DOSB in Deutschland. Der ESBD möchte daher auf „Augenhöhe“ mit dem DOSB über den E-Sport verhandeln.

Konkret bedeutet dies in Zahlen: Der ESBD (30+ Mitgliedorganisationen, Gründung 2017) möchte mit dem DOSB (90.000 Mitgliedsorganisationen, ursprüngliche Gründung 1895) auf einer Ebene sprechen, quasi gleichberechtigt. Der DOSB hat die Entscheidung über die Sporthoheit, er ist politisch sowie gesellschaftlich anerkannt und er wird auch von der Sportwelt als der wichtigste deutsche Sportverband gesehen. Der ESBD wiederum hat keine Hoheit über etwas, er ist selbst innerhalb der E-Sport Szene hochumstritten und er wird von vielerlei Organisationen nicht als Dachverband gesehen. Die im Artikel erwähnten Topclans SK Gaming, mousesports und PENTA sind zum Beispiel allesamt nicht im ESBD organisiert.

Ich setze mich seit über zwanzig Jahren für den E-Sport ein. Ich war Spieler und Manager, jetzt bin ich Autor und wissenschaftlich im E-Sport tätig. E-Sport ist für mich zweifellos Sport und Leidenschaft. Aber ein bißchen mehr Demut im Auftreten des ESBD dem DOSB gegenüber hätte sicher mehr Brücken als Mauern gebaut. Das ist eine Frage des diplomatischen Geschicks und des Wissens um die eigene Reichweite und den eigenen Status.

Von Seiten des ESBD-Präsidenten hieß es jüngst, man habe „als Verband unglaublich viel für den eSport erreicht“. Es stellt sich mit Sicherheit für viele die Frage, was das konkret sein soll. E-Sport ist weder anerkannt, noch wird er aus der Sportförderung heraus unterstützt. Das wären die Kernziele, die es in mittlerweile zwei Jahren für den ESBD hätte zu erreichen gelten. Erste Schritte wie die Wirtschaftsförderung des E-Sports in Schleswig-Holstein kann sich nicht ausschließlich der Verband auf die Fahnen schreiben. Diese Förderung ist der Arbeit von vielerlei Engagierten, Organisationen und Vereinen zu verdanken.

Die Probleme sind offensichtlich: Die Entscheidungsgewalt liegt beim DOSB, der E-Sport in Deutschland hat gleichzeitig keinen starken Verhandlungspartner in Verbandsform. Was nun?

Vereine und game-Verband

Die Ansichten des DOSB zum Sportbegriff sind veraltet und wissenschaftlich nicht haltbar. Früher oder später wird auch der DOSB den E-Sport anerkennen müssen. Der Einfluss des elektronischen Sports in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft wächst. E-Sportler verfügen über überdurchschnittlich hohe Bildungsabschlüsse. Sie kommen in Positionen, in denen sie für ihren Sport arbeiten und Einfluss ausüben können. Gleichzeitig bietet der E-Sport sehr viele Chancen und Möglichkeiten. In einer digitalisierten und globalen Welt steht der E-Sport für einen friedlichen und harmonischen Austausch der Kulturen, von dem sich klassische Sportarten viel abschauen sollten.

Diese positiven Kräfte des E-Sports sind wichtig, um die Anerkennung als Sport voranzutreiben. Durch sie entstehen immer mehr Breitensport-Vereine, die auf Landesebene und in kommunalen Kreisen Aufbauarbeit leisten. Gerade und vor allem dem Engagement von Vereinen und ehrenamtlich arbeitenden Menschen ist es zu verdanken, dass sich das Bild des E-Sports in Gesellschaft und Politik immer mehr zum Positiven wandelt.

Die Bündelung der Vereinsarbeit in einem Verband halte ich für richtig. Wie jede andere Sportart auch benötigt der E-Sport in Deutschland einen Verband. Gerade für die politische Arbeit ist dies immens wichtig.

Mit dem game – Verband der deutschen Games-Branche (game) hat in Deutschland bereits ein Verband seinen Sitz, der dem E-Sport sehr nahesteht. Auch sind im game bereits E-Sport Strukturen vorhanden. Der Verband arbeitet zwar mit dem ESBD zusammen, allerdings wäre eine von diesem losgelöste Arbeit im E-Sport sicher sinnvoll. Einerseits, um die beim DOSB hinterlassene verbrannte Erde zu umgehen. Andererseits hat der game-Verband nicht nur in der Videospiele-Branche, sondern auch im E-Sport einen ausgezeichneten Ruf. Darüber hinaus steht der Verband auf eigenständigen Füßen, nicht zuletzt durch die Monetarisierung der eigenen Arbeit mittels der weltweit anerkannten Messe gamescom.

Fazit

Im Grunde verfügt der E-Sport in Deutschland über ein gutes Fundament, um die Anerkennung als Sportart voranzutreiben. Es gibt seit mehr als zwanzig Jahren Clans. Mit der ESL hat der E-Sport Weltmarktführer in Sachen Wettbewerbsveranstaltung seinen Sitz im Land. Eine vielfältige und große Landschaft an Breitensport-Vereinen leistet eine hervorragende Arbeit an der Basis der Gesellschaft. Nicht zuletzt hat man mit dem game-Verband eine breit anerkannte Instanz, die auch außerhalb der Gaming und der E-Sport Szene viel Gehör findet. Diese Kräfte gilt es zu bündeln, um einen neuen Anlauf bei den Verhandlungen mit dem DOSB zu starten. Gleichzeitig sollte die Forschung zum E-Sport forciert werden, um weitere objektive Argumente ins Feld führen zu können.

Der E-Sport ist Sport. Er ist Leidenschaft, Hobby und Wir-Gefühl von Menschen aller Generationen und Gesellschaftsschichten. Er verbindet Menschen, Religionen, Ethnien und Kulturen. Er schafft Berufsfelder und -bilder, gerade im MINT-Bereich und der IT-Branche. Millionen Menschen zählen sich in Deutschland zur E-Sport Szene.

Es wird Zeit, dass wir diese Kraft in angemessener Weise nutzen, um gemeinsam den E-Sport dort zu platzieren, wo er hingehört: In die Sportwelt.


Disclaimer: Der gesamte Beitrag bildet zu 100 Prozent die persönlichen Meinungen und Ansichten von Gastautor Timo Schöber ab und muss nicht zwingend mit der Position der gesamten Gaming-Grounds.de Redaktion übereinstimmen.


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Timo Schöber
Timo Schöberhttp://www.timoschoeber.com/
Timo Schöber ist Autor, Wissenschaftler und Hochschuldozent. Er ist Leiter der Denkfabrik Esportionary sowie als Berater unter anderem für Skillshot Consulting tätig. Er engagiert sich ehrenamtlich für den eSports Nord e.V.
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