Ein sehr deutsches Problem – Bürokratie und e-Sports

Wir freuen uns Timo Schöber erneut als Gastautor bei Gaming-Grounds.de begrüßen zu dürfen. Als Consultant veröffentlichte er bereits mehrere Publikationen zum Thema eSports und ist derzeit weiterhin als Head of Esportionary.net sowie Pressesprecher des eSports Nord e.V. aktiv. Zu seinen Veröffentlichungen zählt auch das Buch „Bildschirm-Athleten: Das Phänomen e-Sports“. Im heutigen Beitrag nimmt er sich umfassend der deutschen Bürokratie und deren Problematik in Bezug auf den eSport hierzulande an.


Viele Menschen kennen das mit Sicherheit aus dem täglichen Leben oder aus regelmäßig auftretenden Situationen: Der deutsche Bürokratie-Wahnsinn. Steuererklärungen, Anträge im Baurecht, Versicherungsangelegenheiten, Rentenversicherung, Krankenkassen, Kindergeld, Bürgerbüro, politische Spielchen und so weiter. Es gibt kein Land auf der Welt, in dem es mehr Richtlinien, Gesetze und Verordnungen geben würde, als in Deutschland. Im deutschen Recht existieren mehr als 55.000 Einzelnormen, es gibt knapp 2.200 Bundesgesetze mit rund 45.000 Paragraphen. Hinzukommen EU-Recht und weitere Normen.

Bremsklotz für den e-Sports

Während man in China für mehrere Milliarden US-Dollar ganze e-Sports Städte baut und weltweit mehrere dutzend Staaten e-Sports voll anerkannt haben, müht man sich in Deutschland in Minischritten voran. Das ist langwierig, anstrengend und vergrößert jede Stunde, die vergeht, den Rückstand auf die vielen anderen Länder, die e-Sports fördern.

Während wir dankenswerterweise mit Clans wie SK Gaming, PENTA Sports und mousesports, als auch mit der ESL, bereits hervorragende Strukturen im Profi-e-Sports haben, birgt die typisch deutsche Bürokratie viele Hindernisse vor allem für den Amateur und Breitensport.

Risiken für Vereine

Immer mehr klassische Sportvereine möchten e-Sports Abteilungen in ihre Strukturen einbinden. Das ist für den e-Sports als auch für den klassischen Sport sehr positiv zu bewerten, da Synergieeffekte genutzt werden können. Während e-Sportler dadurch zum Beispiel Sportanlagen zum Ausgleichssport nutzen können, können Jugendliche aus den Sportvereinen von den e-Sportlern lernen, wenn es um Medienkompetenzen, Suchtprävention oder die allgemeine Jugendarbeit im digitalen Bereich geht. Gleichzeitig birgt der e-Sports enormes Potenzial für Sportvereine, wenn es um die Gewinnung von Nachwuchs geht, der dann wiederum neben dem e-Sports auch klassischen Sport betreiben könnte. Für alle Beteiligten wäre dies eine Win-Win-Situation. Gerade im Breitensport sind solche Konzepte zukunftsweisend. Darüber hinaus gründen sich in der ganzen Republik reine Breiten-e-Sports-Vereine, die wiederum häufig eng mit herkömmlichen Sportvereinen kooperieren, um die besagten Synergieeffekte nutzen zu können.

Weiterhin bieten e-Sports-Vereine die Chance, dass neue Investitionen auch in den klassischen Sport fließen, wenn sie sich etwa in Räumlichkeiten von Stadien oder Sportanlagen einrichten, als Ergänzung zu den vorhandenen Sportstrukturen.

Was so schön sein könnte, wird massiv durch den bürokratischen Moloch in Deutschland behindert. Vordergründig ist hier die fehlende Anerkennung des e-Sports‘ als Sport. Daraus resultierend riskieren alle klassischen Sportvereine ihre Gemeinnützigkeit, wenn sie e-Sports in ihr Portfolio aufnehmen. Reine e-Sports-Vereine wiederum arbeiten, gerade im Breitensport, gemeinnützig, sind aber nicht als solches anerkannt. Das hat nicht nur steuerliche Nachteile zur Folge, sondern schadet auch der öffentlichen Wahrnehmung und verhindert an vielen Stellen potenzielle Kooperationen.

Gleichzeitig haben es Vereine des e-Sports‘ schwer, wenn sie versuchen in öffentliche Räumlichkeiten zu gelangen, um dort ein Vereinsheim zu etablieren. Derartige Einrichtungen würden als Sozialisierungspunkte fungieren und außerdem die Arbeit der Vereine in Sachen Jugendschutz, Suchtprävention und Medienkompetenz-Vermittlung erleichtern. Aufgrund der fehlenden Anerkennung als Sport ergeben sich hier für e-Sports-Vereine aber erhebliche Hürden, da derartige Locations zumeist nur anerkannten Sportvereinen zur Verfügung stehen.

Ferner haben es e-Sports-Vereine dadurch deutlich schwerer, beispielsweise Jugendringen, Kreisvereinigungen oder anderen Verbänden beizutreten – obwohl sie im Alltag viel ehrenamtliche und gemeinnützige Arbeit leisten.

Verhinderung von Forschung

Die für die Aufarbeitung und wissenschaftliche Aufbereitung des e-Sports‘ so wichtige Forschung wird in Deutschland massiv erschwert, weil kaum oder gar keine öffentlichen Mittel hierfür zur Verfügung stehen. Dabei sind die Forschungsfelder im e-Sports sehr heterogen, vielfältig und spannend. Es finden sich unterschiedliche Bereiche, von den Wirtschafts-, über die Sportwissenschaften bis hin zu Jura.

Durch die unzureichende finanzielle Ausstattung können sinnvolle Einrichtungen und Positionen, wie Akademien, Fakultäten und akademische Stellen an Hochschulen, nur in einem viel zu geringen Maß geschaffen werden. Während Deutschland also auch ganz praktisch an Boden auf die Konkurrenz aus China, Südkorea oder den USA verliert, geht dies leider einher mit einem erheblichen Know-How- und Wissensrückstand.

Das bedeutet auch ganz konkret, dass Forschende und Wissenschaftler das Land verlassen, um anderenorts eine wesentlich bessere Infrastruktur und einfachere Rahmenbedingungen zu nutzen.

Schwächung des Profisports

Auch der Profisport ächzt unter der deutschen Bürokratie. Sportvisa für e-Sportler existieren nicht, Nachwuchs- und Leistungszentren müssen komplett privat finanziert werden, Profispieler haben deutliche Steuernachteile gegenüber anderen Sportlern und auch Clans und Veranstalter müssen sich an vielen Stellen unnötigen Hindernissen ausgesetzt sehen.

Das bedeutet, dass mittel- und langfristig weniger Veranstaltungen in Deutschland stattfinden könnten, was wiederum Investitionen verhindert, den Tourismus schwächt, den Technologiestandort herabsetzt und auch die Wahrnehmung Deutschlands in der Welt verschlechtert.

Fazit

Die Situation in Deutschland ist vor allem für Breitensportvereine aktuell keine einfache. Sie engagieren sich ehrenamtlich und investieren viel ihrer Freizeit, um den e-Sports zu erklären, voranzubringen und zum Beispiel Arbeit im Jugendschutz zu leisten. Dabei haben sie immer das Damoklesschwert der fehlenden Gemeinnützigkeit über sich schweben.

Andere Nationen, auch in Europa, man denke an Schweden oder Frankreich, sind da nicht nur einen Schritt weiter, sondern gefühlt einen kompletten Marathonlauf, wenn es um die Förderung und Unterstützung der Ehrenamtlichen im e-Sports geht.

Deutsche Bürokratie hilft aktuell massiv dabei, dass sich der Rückstand unseres Landes auf andere Nationen immer mehr vergrößert. Ein Rückstand, der irgendwann nicht mehr aufzuholen sein wird – und das nur, weil reaktionäres Denken und Paragraphen-Verliebtheit Mauern anstatt Brücken bauen.

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Timo Schöber
Timo Schöberhttp://www.timoschoeber.com/
Timo Schöber ist Autor, Wissenschaftler und Hochschuldozent. Er ist Leiter der Denkfabrik Esportionary sowie als Berater unter anderem für Skillshot Consulting tätig. Er engagiert sich ehrenamtlich für den eSports Nord e.V.
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