Totgesagte leben länger – das RTS-Genre

Wenn man sich die Geschichte des modernen eSports anschaut, dann nehmen drei Genres eine herausragende Rolle ein: Taktikshooter, Arenashooter und Echtzeitstrategiespiele (Real-Time Strategy, RTS). Während Shooter vor allem den frühen eSports in Europa und Nordamerika geprägt haben, waren in asiatischen Ländern vor allem RTS-Spiele populär.

Genres im historischen Kontext

Gerade die Entwicklung des eSports in Südkorea und China wäre ohne das RTS-Genre undenkbar. Vor allem das Spiel StarCraft konnte im südostasiatischen Raum eine ganze Industrie definieren. Mit der Korean e-Sports Association (KeSPA) entstand in Südkorea auf Basis von StarCraft der erste relevante Verband der Geschichte.

Ab 2002 hievte der inoffizielle Nachfolger von StarCraft, namentlich Warcraft 3, den eSports insgesamt auf ein neues Level. Warcraft 3 kann als erstes RTS-Spiel gesehen werden, das sich in Sachen eSports weltweit etablieren konnte. Südkoreanische Spieler dominierten teilweise zwar noch die internationale Szene, aber vor allem Spieler aus China, den Niederlanden, Schweden und Frankreich durchbrachen diese Führungsrolle vielfach, auch auf Turnieren wie den World Cyber Games (WCG) oder den World E-Sports Masters.

Durch Warcraft 3 wurde das RTS-Genre zusammen mit den Taktikshootern endgültig zur wichtigsten eSports-Kategorie, während Arenashooter wie Quake 3 nach und nach an Relevanz verloren hatten.

Der Schüler wird zum Meister

Im Jahre 2009 erschien dann ein Spiel, das bis heute den eSports insgesamt nachhaltig verändert hat. League of Legends (LoL) verhalf dem Subgenre der Multiplayer Online Battle Arena (MOBA) Spiele zum Durchbruch und setzte vor allem hinsichtlich der Vermarktung und Organisation von Wettbewerben neue Maßstäbe, inklusive der Veröffentlichung von eigenen Songs.

MOBAs waren ursprünglich nur eine Modifikation (Mod) von RTS-Spielen. Am bekanntesten ist hier Defense of the Ancients (DotA) für das RTS-Urgestein Warcraft 3. Während sich MOBAs als Modifikationen in der Community bereits einer großen Beliebtheit erfreuten, blieb ihre Relevanz für den eSports sehr gering. Sie galten als Ausgleich zum wettbewerbsorientierten Spielen von RTS-Titeln oder aber als reiner Freizeitspaß. LoL sollte dies ändern.

Seit dem Erscheinen von LoL ist das MOBA-Genre mehr und mehr zum größten eSports-Bereich geworden. Dabei haben die MOBAs zum großen Teil den Platz des klassischen RTS-Genres eingenommen. Wenn man sich die relevantesten eSports-Titel nach ausgeschütteten Preisgeldern anschaut, dann befinden sich in den Top 10 immerhin drei MOBAs (Plätze 1, 4 und 7), aber nur ein einziger RTS-Titel (Platz 5). Dota 2 ist dabei insgesamt über alle Titel die deutliche Referenz in Sachen Preisgeldern, vor allem aufgrund des The International, während LoL der Gradmesser in Sachen Marketing, Eventmanagement und PR ist.

Insofern kann festgehalten werden, dass die MOBAs als „Kinder“ des klassischen RTS-Genres, dieses inzwischen bei Weitem übertrumpft haben. Viele Experten hatten aufgrund der abnehmenden Relevanz von Spielen wie StarCraft 2 gar das Ende der RTS-Spiele prognostiziert.

Die Renaissance

Vor allem in den letzten Jahren konnte trotz allem etwas Erstaunliches festgestellt werden. Viele RTS-Titel, auch solche, die sehr alt sind, konnten für das Genre insgesamt eine Renaissance einläuten. Das geschah auf unterschiedliche Weisen.

StarCraft 2, also einer der jüngeren Genre-Vertreter, hat ein neues Business Model verpasst bekommen. Während es ursprünglich als klassischer Bezahl-Titel erhältlich gewesen ist, ist der Hersteller Blizzard Entertainment für den Mehrspieler-Modus inzwischen auf ein attraktives Free-to-play-Modell mit kosmetischen Microtransactions gewechselt. Lediglich die Solospieler-Kampagnen müssen wie gewohnt per Einmalkauf erworben werden. Dieser Schwenk hin zu einem neueren Geschäftsmodell hat StarCraft 2 vor allem unter den Breitensportlern, Amateuren und Gelegenheitsspielern wieder sehr populär gemacht. Diese wiederum fungieren als Fans und Kunden als Fundament für den Profi-eSports.

Die langjährige Referenz im RTS-eSports Warcraft 3 konnte ebenfalls eine Wiederbelebung der eigenen Szene verzeichnen. Dies ist vor allem aktiven Streamern und leidenschaftlichen Fans zu verdanken, die die Warcraft 3-Fahne stets hochgehalten haben und somit durch ihr Engagement und viel Herzblut dafür Sorge getragen haben, dass nach und nach wieder vermehrt Wettbewerbe ausgerufen worden sind. Blizzard Entertainment hat diesen Trend erkannt und noch für das Jahr 2019 ein Remake von Warcraft 3 angekündigt: Reforged. Selbst das „uralte“ StarCraft von 1998 hat eine neue Version erhalten und zwar eine 4K/UHD-Version, die 2017 veröffentlicht worden ist. Vor allem in Südkorea werden nach wie vor StarCraft-Wettbewerbe ausgetragen.

Aber auch abseits der großen Blizzard-Titel finden sich wieder mehr RTS-Spiele in den eSports-Tickern. Age of Empires 2 ist ein sehr gutes Beispiel. Ursprünglich im Jahre 1999 erschienen, erfreut sich das Spiel einer großen Beliebtheit und es verfügt über eine rege Turnierszene. Im Jahre 2013 ist das Spiel durch eine HD-Version sogar neu aufgelegt worden.

Es wird gerade durch die vielen Remakes eines deutlich: RTS-Spiele sind nicht tot zu kriegen. Sie nehmen zwar nicht mehr einen Platz unter den wichtigsten eSports-Genres ein, aber aufgrund ihrer Spielart, der breiten Fanbase, ihrer historischen Relevanz und vor allem als Wegweiser für den eSports insgesamt, sind sie bis heute nicht wegzudenken. Es bleibt zu erwarten, dass ihre Wichtigkeit und ihr Einfluss in Zukunft sogar wieder leicht anziehen dürften.

Über Timo Schöber

Als Consultant veröffentlichte Timo Schöber bereits mehrere Publikationen zum Thema eSports und ist neben seiner neuen Position als freier Autor bei Gaming-Grounds.de derzeit weiterhin als Head of Esportionary.net sowie Pressesprecher des eSports Nord e.V. aktiv. Zu seinen Veröffentlichungen zählt auch das Buch „Bildschirm-Athleten: Das Phänomen e-Sports“.

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Timo Schöberhttp://www.timoschoeber.com/
Timo Schöber ist Autor, Wissenschaftler und Hochschuldozent. Er ist Leiter der Denkfabrik Esportionary sowie als Berater unter anderem für Skillshot Consulting tätig. Er engagiert sich ehrenamtlich für den eSports Nord e.V.
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