Kenshi Test: Das wohl außergewöhnlichste Survival-Game

Selten hat mich ein Spiel am Anfang so fertiggemacht, selten wurde ich vom Entwickler so wenig an die Hand genommen wie im Open-World-Sanbox Kenshi. Es ist wohl eines der außergewöhnlichsten Survival-Games, das ich bisher gespielt habe. Die grafische Präsentation in der Third-Person-Perspektive hat ihren Charme, kann aber im Vergleich zu anderen Spielen allemal als extravagant betrachtet werden.

Da macht der britische Entwickler Lo-Fi Games seinem Namen alle Ehre. Doch die besondere Stärke von Kenshi liegt auch wo anders: nämlich in der großen Freiheit, die die Spieler in dieser postapokalyptischen Samurai-Punk-Welt erleben dürfen. Es gibt nicht mal ein wirkliches Ziel oder eine geradlinige Story.

Grenzenlose Freiheit

Eine kleines Beispiel gefällig? In der Regel startet ihr mit eurem Charakter alleine und mittellos. Zunächst werde ihr einfach versuchen müssen, am Leben zu bleiben. Ihr braucht Nahrung und müsst euch vor den unzähligen Gefahren in Acht nehmen, die in der Welt von Kenshi auf euch lauern.

Da wären üble Monstren, gefährliche Biome, Säureregen und -flüsse und natürlich: die anderen Bewohner. Letztere sind vermutlich eure größte Bedrohung. Es gibt unzählige Fraktionen, die gegeneinander im steten Wettkampf sind. Die vielen Städte und Siedlungen in der großen Open-World sind unter Kontrolle der größten Königreiche. Dann gibt es noch kleinere Banden und Gruppierungen. Manche davon hausen in verlassenen Ruinen oder ziehen als friedlichere Nomaden durch die Wüsten. Ihr werdet früh Bande knüpfen müssen, um nicht alle Fraktion gegen euch aufzubringen. Immerhin gibt es auch zahlreiche neutrale Gruppen.

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Eine Hafenstadt: Kommen wir als Händler, Reisende oder legen wir alles in Schutt und Asche? Die Wahl liegt bei uns.

Zusammen sind wir stärker

Vermutlich werdet ihr auch feststellen, dass es leichter ist, in der Gruppe zu überleben. Ihr trefft auf Charaktere, die ihr anheuern könnt. Wenn ihr also ein paar Cats (die hiesige Währung) mit Bergbau, Schrottsammeln, Plündern, etc. verdient habt, dann könnt ihr Gefolge anwerben. So wächst eure Gruppe mit der Zeit. Diese lässt sich individuell steuern, in Squads aufteilen, außerdem könnt ihr den einzelnen Mitgliedern jeweils Aufgaben zuteilen. Sammelt Ressourcen, baut euch eine Basis, Mauern, Verteidigungstürme und gründet eine eigene Siedlung – all das ist in Kenshi möglich.

Passt dabei nur auf, dass die Begehrlichkeit der anderen Fraktionen nicht geweckt wird. Wird eure Basis zu attraktiv für die lokalen Räuberbanden, dann könnte dies zu Raids führen. Diese werden zwar netterweise angekündigt, sind gerade am Anfang aber schwer abzuwehren. Vielleicht sollte man sich ein paar Söldner anwerben, um die Basis zu verteidigen. Oder ihr flieht rechtzeitig und kommt nach der Plünderung wieder. Passt nur auf, dass euch eure Widersacher nicht in die Sklaverei überführen. Die patriarchische Holy Nation könnte sich auch an euren Frauen stören oder dass ihr gewisse Völker in euren Reihen duldet. Habt ihr daran gedacht, die Heilige Schrift mit euch zu führen? Sonst könnten die Paladine an den Stadtmauern der Holy Nation argwöhnisch werden.

Kenshi Trailer:

Mach, was du willst

Ihr könnt Handel treiben, selbst zu Plünderern werden oder eure Bemühung in die Forschung stecken, um immer bessere Technologien zu entdecken. Vielleicht gefällt euch auch lieber das Leben als Farmer oder aber ihr kombiniert all das zusammen. In Kenshi könnt ihr euren eigenen Weg wählen und werdet jeden Tag etwas neues erleben. Die Spielwelt ist gigantisch groß und ihr müsst tagelange Reisen auf euch nehmen, um eine entfernte Stadt zu erreichen. Der ständige Kampf um Nahrung begleitet euch. Auch wenn ihr zum Glück kein Wasser finden müsst, frisches Fleisch ist rar und es kommt nicht selten vor, dass eine Siedlung wegen ihrer Vorräte von hungrigen Banditen heimgesucht wird. Schließt nachts lieber eure Tore und positioniert ein paar Armbrustschützen auf den Mauern – dann könnt ihr euch dieses Gesindel vom Hals halten. Zur Verpflegung sind die umherziehenden Ziegenherden gut geeignet. Doch selbst die kleinsten Lebewesen wissen sich zu verteidigen.

Kenshi kennt keine Helden

In Kenshi seid ihr kein strahlender Held, wenn ihr Glück habt, könnt ihr 1-zu-1-Kämpfe gegen einfache Gegner überleben. Versucht schnell bessere Ausrüstung als eure Gegner zu bekommen und sammelt in Kämpfen Erfahrung, um langsam, sehr langsam besser zu werden. Doch erwartet dabei nicht zu viel. Selbst der erfahrenste Kämpfer wird gegen eine Überzahl an Feinden vielleicht nichts ausrichten können. Die Welt von Kenshi ist brutal und ihr werdet herbe Rückschläge erdulden müssen. Seid froh, wenn man euch dabei nur bewusstlos schlägt. Zum Glück gibt es bei all dem Blut auch Heilmittel. Wenn ihr Pech habt kommt die Rettung allerdings zu spät oder ihr verliert ein paar eurer geliebten Gliedmaßen. In diesem Fall könnte euch vielleicht eine Prothese helfen – die sind aber teuer und selten.

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Kleiner Spaziergang mit einem Bonedog

Während ihr Tag um Tag in der Welt von Kenshi zu überleben lernt, zeichnet sich ganz langsam eine tiefe Story ab. Ihr hört Geschichten und Andeutungen aus der Vergangenheit, die das Verhalten der Fraktionen erklären. Ihr seht die Schatten der Vergangenheit in Form von Ruinen und Fragmenten. Bücher berichten euch von vergangenen Zeiten oder ihr lauscht dem Lied eines Barden. Diese passive Erzählweise ist faszinierend und mit der Zeit beginnt man, die Welt von Kenshi zu verstehen. Es ist wie ein dunkler Sog, der einen immer weiter ins Spiel zieht.

Micro-Management vom Feinsten

Was als Solo-Rollenspiel anfängt, entpuppt sich schnell als komplexes Big-Scale-Abenteuer, bei dem ihr eine Vielzahl an Charakteren steuert. Das Micro-Management wird euch ordentlich fordern. Am Ende werdet ihr aber eine große Befriedigung verspüren, wenn ihr die ersten Angriffe erfolgreich abwehrt, sich eure Schatzkammer füllt und euer Lager wächst. Ihr werdet Feinde zur Strecke bringen, eure Freunde aus der Sklaverei befreien und selbst vor den Thron der anderen Fraktionen treten. Was werdet ihr dann tun: Eine neue Allianz eingehen oder als Assassine den gegnerischen Anführer meucheln? Es liegt ganz bei euch, ihr selbst schreibt eure Geschichte in Kenshi.

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Von kleinen Auseinandersetzungen bishin zu großen Schlachten. In Kenshi ist alles möglich…

Kontrolle über die Zeit

Diese könnt ihr in eurem eigenen Tempo erleben. So gehört auch die Zeitsteuerung zu einem wichtigen Spielelement. Ihr könnt die Zeit normal, schneller oder ganz schnell laufen lasse. Wenn es mal zu hektisch wird, dann habt ihr zudem die Möglichkeit, das Spiel zu pausieren. Dies lässt euch taktisch agieren.

Ihr könnt Befehle verteilen, Jobs zuweisen, Bauten anordnen oder euch in Ruhe einen Überblick verschaffen. Die Zeitsteuerung ist somit ein im wahrsten Sinne des Wortes göttliches und vermutlich euer stärkstes Tool. Auch die Beschleunigung werdet ihr brauchen, in der vanilla Version von Kenshi brauchen viele Dinge Zeit – sehr viel Zeit. Doch während ihr die Minuten und Stunden an euch vorbeirasen lasst, solltet ihr immer wachsam sein: In einem unbedachten Moment könnte sich sonst manch ein Unheil zusammenbrauen.

Fazit

Kenshi ist hässlich, Kenshi ist bestrafend und Kenshi ist bockschwer. Doch selten hat sich der noch so kleinste Erfolg derart belohnend angefühlt. Das Spiel zeichnet den steten Kampf ums Überleben mit einem besonders blutigen Pinsel und wer sich auf dieses Abenteuer einlässt, der wird vermutlich unzählige Stunden in diese faszinierende Spielwelt verlieren.

Sei es als Survival, Rollenspiel oder als forderndes Strategiespiel – der Mix von Kenshi passt sich dem Spieler an und ihr könnt prinzipiell genau das bekommen, was ihr euch wünscht. Dabei könnt ihr euren eigenen Wertekompass finden und die Welt nach eurer Vorstellung formen. Mir hat Kenshi etwas ganz Besonderes gegeben, was ich so in noch keinem anderen Spiel erlebt habe. Vermutlich werde ich noch Jahre Spaß an Kenshi haben. Durch die reduzierte Grafik erhebt das Spiel gar keinen Anspruch auf Aktualität und bleibt schon jetzt eine kultige Blüte in der Spielesammlung. Besonders toll sind die vielen kleinen Details, mit denen Kenshi nicht geizt. Seien es die Choreografie der Kämpfe oder die vielen skurrilen, teils schwarzhumorigen Ideen. Es steckt einfach ganz viel Einfallsreichtum und Charakter in dem Spiel.

Mit Kenshi ist dem kleinen Team um Mastermind Chris Hunt, der übrigens auch das Firmenlogo ziert, ein absoluter Diamant gelungen – schön roh und ungeschliffen. Gestartet ist das Spiel als Crowdfunding-Projekt, hat sich zusammen mit der Community stetig weiterentwickelt, bis es dann Ende 2018 erschien. Der Mod-Support sorgt zudem dafür, dass die Community noch mehr aus diesem Open-World-Titel herausholen kann und es gibt unzählige Erweiterungen, die das Spielgeschehen weiter ausbauen.

Ein zweiter Teil befindet sich mit Kenshi 2 bereits in der Entwicklung. Dies dürfte dann auch vermutlich die einzige wirklich Konkurrenz sein, die für mich das Spiel aktuell von seinem selbst gebastelten Survival-Thron schubsen könnte.

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Schnell in den nächsten Unterschlupf, bevor die Nacht hereinbricht. Der nächste Skimmer kommt bestimmt.

Noch ein kleiner Tipp: Solltet ihr frisch in die Welt von Kenshi starten, dann traut euch ruhig, euren eigenen Weg zu gehen und eure eigenen Erfahrungen zu machen. Es gibt unzählige wirklich ausführliche Fan-Ressourcen, in denen ihr eigentlich alle Details zu Kenshi nachlesen könnt. Wenn ihr die staubigen Wüsten von Kenshi allerdings das erste Mal betretet, dann macht es noch mehr Spaß, wenn sich euch die Welt nach und nach offenbart. Dies macht einen großen Reiz aus, die Ungewissheit und das Entdecken. Eine Erfahrung, die ihr nur einmal erleben könnt, also lasst sie euch nicht nehmen.

Bewertung

Kenshi schmeckt nicht jedem und soll es vermutlich auch nicht. Mit diesem Spiel haben sich die Entwickler einen individuellen Traum erfüllt und machen damit einen bestimmte Kreis an Spielern sehr, sehr glücklich. Wer auf der Suche nach etwas Extravagantem ist, mal etwas Neues ausprobieren möchte, gerne in eine ungewöhnliche Spielwelt eintaucht und keine Herausforderung scheut, der wird in Kenshi mit einem einmaligen Spielerlebnis belohnt.

Pro
grandiose Freiheiten
toller Genre-Mix
riesige Spielwelt
keine Story, aber tolle Lore
Kontra
grafisch eher für Retro-Fans
kleinere Bugs, die aber nicht spielentscheidend sind
Schwierigkeitsgrad nicht für alle geeignet
4.5
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Alexander Panknin
Alexander Pankninhttps://www.gaming-grounds.de/
1985 geboren. Mit Doom, Quake und SNES aufgewachsen. War selbst in der Indiegames-Szene aktiv und schreibt nun auf gaming-grounds.de über seine große Leidenschaft: Videospiele.
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