Kritik am Saudi-Deal: Der Ausverkauf der E-Sport-Seele

Disclaimer: Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine Meinungsäußerung des Gastautors. Eine Meinungsäußerung, die in dieser Form in einem freiheitlichen Land wie Deutschland glücklicherweise möglich ist – im Gegensatz zu Saudi-Arabien. Der Autor übernimmt trotz sorgfältiger Recherche keine Gewähr für die Richtigkeit der dargestellten Tatsachen.

In der Geschichte des E-Sports existiert wohl kaum eine Organisation mit der Tragweite der Electronic Sports League (ESL). Die Organisation ist im Jahr 2000 gegründet worden und konnte sich zu jener Zeit gegen den großen Konkurrenten ClanBase durchsetzen. Dabei hat die ESL viel richtig gemacht. Es wurden Ligasysteme für jede Person angeboten, ganz gleich ob Breiten-, Amateur- oder Profisport. Mit der ESL Amateur Series (EAS) entstand erstmals ein System, das Amateurspielerinnen und -spielern die gleichen organisatorischen Rahmenbedingungen bieten konnte, wie den Profis.

Die ESL Pro Series (EPS) wurde als deutsche Meisterschaft etabliert, samt kultigen Offline-Veranstaltungen wie den Intel Friday Night Games. Es entstanden auch Sportfehden, wie sie etwa aus dem Fußball oder dem Handball bekannt sind. Zu nennen ist hier vor allem jene Rivalität zwischen mousesports und aTTaX, die die deutsche Counter-Strike-Meisterschaft lange Zeit mehr oder minder unter sich ausgemacht haben. Aber auch in anderen Spielen entwickelten sich Namen, die auch heute noch viele kennen. Etwa die Schellhase-Zwillinge in FIFA, der EPS-Rekordsieger miou in WarCraft III oder aber der RTS-Allrounder XlorD, der vielen nicht nur durch seine spielerische Klasse, sondern auch durch seine polarisierende Persönlichkeit in Erinnerung bleiben dürfte.

Mit den ESL One Turnieren und den Intel Extreme Masters (IEM) konnte die ESL darüber hinaus Wettbewerbsreihen entwickeln, die international Standards gesetzt haben. Gleiches gilt für die ESL Pro League in Counter-Strike: Global Offensive, die vielen als relevantestes Ligasystem dieses Titels gilt. Volle Hallen, Fankultur und ein friedliches Miteinander vor Ort sind also Markenkern der ESL.

Was vielen nicht bekannt sein dürfte: Die ESL befand sich seit Langem nicht mehr primär in Hand deutscher Unternehmen und Anteilseigner. Bereits seit 2015 gehörte der Wettbewerbsveranstalter mehrheitlich der schwedischen Modern Times Group (MTG). Die Schaffung eines stabilen Ökosystems durch derartige Übernahmen ist üblich, nicht nur im E-Sport. Auf ein anderes Phänomen des traditionellen Sports könnte der E-Sport aber durchaus gut verzichten. Organisationen, Clubs und Vereine fallen zunehmend in die Hände von Investoren aus autokratischen und sogar diktatorischen Staaten. Ein Blick auf die englische Premier League verrät es. Viele der traditionellen Fußballmarken dort gehören längst arabischen Investoren und russischen Oligarchen.

Saudis übernehmen ESL und FACEIT

Gestern erreichte die E-Sport- und Gaming-Landschaft dann eine Paukenschlag-Nachricht. Die saudi-arabische Savvy Gaming Group (SGG) übernimmt die ESL und FACEIT. Letzteres Unternehmen bietet Tools zum Matchmaking bei Counter-Strike an und veranstaltet darüber hinaus eigene Wettbewerbe. Ferner finden sich Spieleserver und Anti-Cheating-Werkzeuge im Portfolio.

Die Übernahme der ESL durch einen saudischen Investor für rund 1 Milliarde US-Dollar mag auf den ersten Blick unproblematisch erscheinen. Daher lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen. Hinter der SGG steckt nämlich der Public Investment Fund (PIF). Das ist nichts weniger als ein staatlicher Fonds Saudi-Arabiens. Man könnte also auch titeln, dass der saudische Staat oder gar die dort absolutistisch herrschende Königsfamilie die ESL und FACEIT übernommen hätten.

Warum das problematisch ist, wird folgend erörtert.

Die Werte des E-Sports

Der elektronische Sport ist ein weltweites Phänomen mit vielerlei positiven Kernthemen und Werten, die da insbesondere lauten:

  • Inklusion: Jeder Mensch kann barrierefrei und in einem sicheren Raum am E-Sport partizipieren, ganz unabhängig von Geschlecht, Religion, sexueller Orientierung, politischer Überzeugung, Ethnie, körperlichen Einschränkungen oder anderweitigen Merkmalen.
  • Gleichstellung: Im E-Sport ist eine 100%ige Gleichstellung der Geschlechter angestrebt, insbesondere auch im spielerischen Umfeld.
  • Nachhaltigkeit: Große Teile der E-Sport-Szene setzen sich für nachhaltige und umweltfreundliche Konzepte ein.
  • Freiheit: Der elektronische Sport bekennt sich zu demokratisch-freiheitlichen Grundprinzipien.

Insgesamt ist E-Sport ein progressiver Sport, mit ganzheitlichen Werten und dem Blick Richtung Zukunft.

Passt das dazu, dass der größte Wettbewerbsveranstalter zukünftig in der Hand eines saudischen Staatskonzerns ist?

Die politische Lage in Saudi-Arabien

Saudi-Arabien ist eine der letzten absolutistischen Monarchien der Welt, die gleichzeitig auch theokratische Merkmale aufweist. Im Grunde ist es also ein königlich-geführter Gottesstaat, auch wenn das politikwissenschaftlich nicht genau abgrenzbar ist. Von einer Demokratie ist das Land weit entfernt. Hierzu seien ein paar Beispiele genannt:

  • Es gibt keine freien Wahlen eines Parlaments.
  • Es existiert keine unabhängige Gerichtsbarkeit.
  • Frauen haben nicht die gleichen Rechte wie Männer.
  • Menschen, die offen homosexuell leben, müssen damit rechnen, zum Tode verurteilt zu werden.
  • Die Todesstrafe gibt es auch für anderes, beispielsweise „Hexerei“.
  • Auch öffentliche Auspeitschungen gehören zum Strafkatalog, genau wie die Amputation von Körperteilen.
  • Es existiert keine Meinungsfreiheit.
  • Staat und Religion sind nicht voneinander getrennt. Prägend ist die ultrakonservative Islamauslegung des Salafismus.
  • Der Arm der saudischen Regenten reicht weit, wie der Fall Jamal Khashoggi zeigt.
  • Saudi-Arabien ist der größte Ölexporteur der Welt, also weit weg von „Nachhaltigkeit“.
  • Das Land führt Stellvertreterkriege aus ideologischen Gründen, aktuell etwa im Jemen.
  • Oppositionelle und Dissidenten werden systematisch gefoltert und eingesperrt, siehe zum Beispiel den Fall des Bloggers Raif Badawi.

Es gibt also wohl kaum ein Land, das weniger mit den Werten des E-Sports zu tun hat als Saudi-Arabien. Wenn also etwas wie die ESL, die weltweit progressive Strömungen befeuert, an ein ultrakonservatives Land mit theokratischen Zügen und eine absolutistische Monarchie verkauft wird, dann ist zu befürchten, dass die Werte des E-Sports mindestens verwässert, vielleicht sogar beseitigt werden.

Aus Fehlern nicht gelernt: League of Legends (LoL)

Verwunderlich ist diese Entwicklung, weil die ESL es eigentlich hätte besser wissen müssen. Im Jahr 2020 versuchten die Saudis bereits einmal groß im E-Sport einzusteigen. Das saudische, staatliche Großprojekt Neom wurde Partner der League-of-Legends-Liga LEC. Der Aufschrei in der Community war zu Recht riesig. Insbesondere queere Personen sahen sich dem Problem ausgesetzt, dass sie für eine Organisation tätig sein würden, deren „Partnerland“ sie vermutlich mit massiven Repressalien belegen würde, wären sie Saudis, die in Saudi-Arabien leben.

Die LEC zog nach massiven Protesten der Community schließlich Konsequenzen und beendete die Partnerschaft wieder.

Differenzierung: Beweggründe vielschichtig

Neben Geld, um das es bei dem Deal zweifelsohne gehen dürfte, ist es auf der anderen Seite verständlich, dass die ESL das ökonomische System des E-Sports stützen möchte. Dabei ist auch die engere Zusammenarbeit mit FACEIT, hauptsächlich zur Nutzung von Synergien nachvollziehbar und richtig. Insgesamt ist das E-Sport-Ökosystem an vielen Stellen wackelig und unausgewogen. Hier Stabilität in den Markt bringen zu wollen, ist also eine schlüssige und gute Entscheidung.

Vor allem wird Geld gebraucht, um den E-Sport-Markt an der einen oder anderen Stelle gesunden und zeitgleich wachsen zu lassen. Das ist auch bitternötig, denn viele Stellschrauben im ökonomischen System konnten in den letzten Jahren nicht so recht mit dem exponentiellen Wachstum des E-Sports schritthalten.

Dass die ESL hier – wieder einmal – als einer der ersten Marktteilnehmer Handlungsbedarf sieht und voranschreitet, ist also durchaus positiv zu bewerten.

Fazit

Die Intentionen der ESL mögen teilweise gut sein, aber wie schon der Volksmund sagt: Passe auf, mit wem du dich bettest. Viele werden sagen, man solle Wirtschaft, E-Sport und Politik nicht miteinander vermengen, sondern dies auseinanderhalten. Persönlich halte ich das in diesem Fall für schwierig, besonders hinsichtlich eines Landes, dass in allen Lebensbereichen derartig politisch durchdrungen wird wie Saudi-Arabien.

Die ESL hätte gut daran getan, sich andere Partner zu suchen. Saudi-Arabien passt nicht zum E-Sport. Im Gegenteil: Das Land strebt gegen die Werte des elektronischen Sports.

Oder, um es mit Johann Wolfgang von Goethe abzuschließen:

„Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist; weiß ich, womit du dich beschäftigst, so weiß ich, was aus dir werden kann.“


Mehr dazu:

Zusammenschluss: Saudi-arabischer Staatsfonds übernimmt FACEIT und ESL

Auch interessant:
Timo Schöber
Timo Schöberhttp://www.timoschoeber.com/
Timo Schöber ist Autor, Wissenschaftler und Hochschuldozent. Er ist Leiter der Denkfabrik Esportionary sowie als Berater unter anderem für Skillshot Consulting tätig. Er engagiert sich ehrenamtlich für den eSports Nord e.V.
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare
- Werbung -spot_img

Letzte Artikel:

Besonders beliebt:

- Werbung -spot_img
StartE-SportKritik am Saudi-Deal: Der Ausverkauf der E-Sport-Seele
Cookie Consent mit Real Cookie Banner